Es gibt Floskeln, die werden irgendwann zum Allgemeingut. Zumindest innerhalb der Verwandtschaft.
Wenn es heißt, „wir fahren über die Acker“, ist klar: Wir biegen von der Autobahn ab und kurven weiter auf der Landstraße ins Glück.
Ein Onkel, der sehr gerne mit dem Auto unterwegs ist, hat uns dieses Allgemeingut quasi schon zu Lebzeiten vererbt. Eigentlich müsste es ja „über die Äcker“ heißen, aber da nehmen wir die Deutsche Rechtschreibung nicht ganz ernst.
Nun also setzen wir unsere Reise zum Guns n‘ Roses-Konzert in Imola fort, und niemals zuvor wurde „über die Acker“ so dermaßen wortwörtlich wie auf unserem Weg von Chioggia zu unserem zweiten längeren Boxenstopp in Comacchio.
Wir verlassen den Fischmarkt in Chioggia. Weiter geht’s in einem gemieteten Neunsitzer-Bus. Der Reise-Onkel – nicht zu verwechseln mit dem „Über die Acker“-Onkel – sitzt am Volant und nimmt die Kreuzungen wie im Schlaf. Kein Wunder. Hier kennt er jeden Zentimeter Straße. Ist er doch schon mehrmals mit dem Rennrad von Ferlach aus in die Südtoskana gefahren. Man könnte ihn auch um drei Uhr nachts wecken, er kann hier jeden Streckenverlauf sofort aufsagen.
Gut, wenn man sich als Passagier auf so ein Geographie-Talent verlassen kann. Mal geht’s links, dann wieder rechts. Mal über eine kleine Brücke, dann wieder an den Äckern entlang. Was hier in der Emilia-Romagna für ein Aufwand zur Bewässerung der bebauten Äcker betrieben wird, ist schon ziemlich heftig.
Bei San Pietro überqueren wir die Etsch, die in den Ötztaler Alpen am Reschenpass entspringt und bei Porto Fossone (Provinz Rovigo) in das Adriatische Meer mündet. In Tornova machen wir keinen Turnover, sondern fahren schnurstracks an der vielleicht hässlichsten Kirche Italiens vorbei. Obwohl, irgendetwas wird sich der Architekt schon dabei gedacht haben und Schönheit oder Hässlickeit liegen immer im Auge des Betrachters.
Dann plötzlich ist er da, der Po. Sehnsuchtsort für viele Österreicherinnen und Österreicher, die gerne Waller fischen…
Wir lassen Orte mit den wundervoll klingenden Namen wie Ariano Nel Polesine, Mezzogoro, Codigoro, Lagosanto hinter uns. Mit der Vorfreude auf Comacchio, das nun mit jedem Kilometer näher rückt.
Ein kleiner Tipp:
Sollten Sie je in dieser Gegend unterwegs sein, machen Sie einen Abstecher nach Volania in die Bar Sport auf der Piazza XXV Aprile. Hier gibt’s vielleicht nicht das allerbeste Essen, aber dafür umso mehr Herzlichkeit und italienisches Flair abseits jeglicher Touristenströme.

Ganz ehrlich, auf dem Petersplatz in Rom, auf der Piazza Maggiore in Bologna oder bei der Ponte Vecchio in Florenz ist man bald einmal. Aber die wenigsten Österreicherinnen und Österreicher können von sich behaupten, schon einmal in Volania gewesen zu sein.
Zum Abschied gibt’s für den Reise-Onkel ein großes Glas selbstgemachte Erdbeer-Marmelade mit auf den Weg. Vielleicht auch deshalb, weil er hier mit dem Rad ein paar Wochen zuvor Pause gemacht hat. Wo auf den touristischen Hotspots erlebt man diese familiäre Atmosphäre?
Trepponti di Comacchio
Comacchio ist die wichtigste Stadt des Po-Deltas und ein idealer Ort für Pausen auf dem Weg in den Süden, wenn man abseits der Autobahn parallel zur Adria auf dem Weg nach Rimini oder in die Toskana unterwegs ist. Ja, vielleicht dauert die Fahrt etwas länger, dafür nimmt man Eindrücke mit, die man auf der Autobahn niemals gewinnen wird.
Wie schon in Chioggia liegt der Reiz hier an den Kanälen, die die Stadt durchlaufen. Sehenswert ist die Trepponti-Brücke. Sie wurde aus fünf Treppen – drei vorderen und zwei rückwärtigen – und fünf Rundbögen gebildet und am Zusammenfluss dreier Kanäle errichtet. Die historische Altstadt hat einige feine Lokale zu bieten, die in Richtung Ponte degli Sbirri zum Teil als Boote auf den Kanälen schwimmen.
Von der Ponte degli Sbirri hat man dann zum ersten Mal die Trepponti-Brücke im Blick. Die vermutlich am häufigsten fotografierte Sehenswürdigkeit dieser lieblichen Stadt.
Zurück geht’s über die Via Ludovico Muratori, auch hier lädt die eine oder andere Bottega oder Trattoria zum Verweilen ein.

Wenn man Aal mag, ist man in Comacchio bestens aufgehoben, denn hier hat die Aalfischerei eine große Tradition. Aber natürlich gibt’s auch jede Menge anderer Meerestiere auf den Speisekarten.
Ideal für ein Eis ist die „Bar Ideal“. Hier erfährt man wie so oft die Bestätigung, dass das Gelato in Italien erfunden wurde.
Auch der Umkreis von Comacchio hat sehr viel zu bieten. So kann man in der Lagune Vögel beobachten, die 600 Hektar große Saline bestaunen oder das eine oder andere Museum besuchen. Alle Informationen dazu findet man auf dieser Website.
Den See südlich von Comacchio, der ein bisschen an den Neusiedlersee erinnert, haben wir nur kurz gesehen, auf unserer Weiterfahrt nach Imola beziehungsweise Bologna. Und auch hier ging es weiter über die Acker…